10.08.00 (mein Geburtstag):
War
das ein Schock, als es plötzlich kalt und laut wurde und grelles
Licht durch meine Augenlider drang. Was war geschehen? Wo waren
meine Schwester und Mama?
Ich bekam solch entsetzliche Panik und es ging mir sooo schlecht,
ich bekam keine Luft und überhaupt wollte ich einfach nur zurück
in Mamas warmen Bauch, zurück zu meiner großen Schwester
und einfach in Ruhe weiterschlafen. Schließlich war es mitten
in der Nacht und nachts haben Anica und ich immer ganz eng aneinandergekuschelt
geschlafen, damit wir tagsüber ordentlich turnen und spielen
konnten und Mama auch ja wusste, dass wir da sind! Wir haben große
Beulen in Mamas Bauch geschlagen, denn auch wir brauchten unsere
Streicheleinheiten von außen.
Doch
jetzt war alles anders: ich wurde gepiesackt und man tat mir weh.
Ich fühlte mich sowieso so unendlich schlapp. Nichts war mehr
wie vorher und es machte mir entsetzliche Angst. Da versagten meine
Kräfte...
Mama
und Papa haben sich in dieser langen, traurigen Zeit voller Verzweiflung
und Hoffnung viele Notizen zu meiner Entwicklung gemacht, die Ihr
hier nachlesen könnt:
Elina
wurde um 2.50 Uhr in der Charité in Berlin-Mitte geboren.
Sie wog 550 g (kaum mehr als ein Pfund Butter!) bei 32 cm "Kürze"
und 22 cm Kopfumfang,
APGAR 5/7/7.
Noch
im Kreißsaal wurde Elina reanimiert. Sie bekam Surfactant
für die Lunge und wurde intubiert. Außerdem wurde ein
Gefäßkatheter in die Nabelvene gelegt. Sie wurde sofort
anitbiotisch behandelt.
Um den 2.-4. Zeh des linken Fußes hatte sich die Nabelschnur
gewickelt, sie musste gelöst werden. Die Zehen waren bereits
avital und ganz schwarz, sie fielen etwa eine Woche später
ab. Schließlich wurde Elina zur neonatologischen ITS verlegt.
Zum
Glück haben wir dies alles nicht hautnah miterleben müssen.
Matthias wollte sich nach Aufforderung des Anästhesisten im
Nebenraum nach dem Zustand der Zwillinge erkundigen, erntete aber
nur sehr, sehr ernste und böse Blicke.
Auf
der ITS bekam Elina dann ihre 1. Bluttransfusion, denn sie war hochgradig
anämisch (HK 0,25). Zu diesem Zeitpunkt durfte mein Mann in
Begleitung des Oberarztes zum ersten Mal zu unserer Tochter. Ihn
beschlich ein ganz mulmiges, angstvolles Gefühl als er sie
dort so liegen sah, so winzig und durchscheinend, fast zerbrechlich
und rundherum diese vielen Geräte und Kabel.
In den frühen Morgenstunden dann wurde Elinas Lunge mehrfach
geröntgt. Es waren weitere Surfactantgaben nötig bis sich
eine positive Lungenentwicklung zeigte und sie einen deutlich niedrigeren
O2-Bedarf hatte und mit niedrigeren Beatmungsdrücken auskam.
In ihren ersten Stunden im Kampf ums Leben, nahmen wir Abschied
von Anica, ihrer Zwillingsschwester.
Mein
Mann war an diesem 1. Tag noch zwei weitere Male bei unserer Tochter.
Sie bekam mittlerweile Glukose über die Nabelvene und die Ärzte
starteten den 1. Versuch mit 0,3 ml Fremdmuttermilch über die
Magensonde. Der Oberarzt war zufrieden, für die Voraussetzungen
wäre ihr Start gut gewesen.
Meine
Erinnerungen an diesen so grauenvollen Tag verschwammen zum Glück
stark, denn ich hatte doch sehr mit den Nachwirkungen der Narkose
zu kämpfen. Ich war sehr froh, nach diesen vielen Hiobsbotschaften,
die ich komischerweise mehr als Zuschauer mitbekam, denn als wirklich
Beteiligte, immer wieder in einen wirren Schlaf ausweichen zu können.
Eigentlich kam ich erst gegen Abend wieder so richtig zu mir und
all die bis dahin wattierten Botschaften nahmen entsetzlich klare
Formen an. Ich wollte aufstehen, zu meiner Tochter, aber mühsam
am Bettende angekommen versagten meine Kräfte, mein Kreislauf
spielte nicht mehr mit. Ich musste mich also noch gedulden und ich
hatte nichts von ihr, kein Foto, nichts, nur die Erinnerung an unsere
kleine Anica. Elina musste aussehen wie sie. Alles, was ich fühlen
konnte waren unendliche Trauer und ein furchtbar leerer Bauch. Ich
konnte unserer Tochter nicht mehr helfen, sie musste sich ganz alleine
diesem schweren Kampf ums Leben stellen. Ich vermisste sie ganz
schrecklich. Für den nächsten Morgen hatte ich mir fest
vorgenommen, sie zu besuchen und nichts und niemand würde mich
von diesem Vorhaben abhalten können.
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