Neonatologie I
(Intensivstation für Frühgeborene und kranke Neugeborene)
vom 10.08.00 bis zum 01.11.00

"Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem Stand.
Die Liebe hört niemals auf."

1. Korintherbrief 13,7

 

10.08.00 (mein Geburtstag):

War das ein Schock, als es plötzlich kalt und laut wurde und grelles Licht durch meine Augenlider drang. Was war geschehen? Wo waren meine Schwester und Mama?
Ich bekam solch entsetzliche Panik und es ging mir sooo schlecht, ich bekam keine Luft und überhaupt wollte ich einfach nur zurück in Mamas warmen Bauch, zurück zu meiner großen Schwester und einfach in Ruhe weiterschlafen. Schließlich war es mitten in der Nacht und nachts haben Anica und ich immer ganz eng aneinandergekuschelt geschlafen, damit wir tagsüber ordentlich turnen und spielen konnten und Mama auch ja wusste, dass wir da sind! Wir haben große Beulen in Mamas Bauch geschlagen, denn auch wir brauchten unsere Streicheleinheiten von außen.

Doch jetzt war alles anders: ich wurde gepiesackt und man tat mir weh. Ich fühlte mich sowieso so unendlich schlapp. Nichts war mehr wie vorher und es machte mir entsetzliche Angst. Da versagten meine Kräfte...

Mama und Papa haben sich in dieser langen, traurigen Zeit voller Verzweiflung und Hoffnung viele Notizen zu meiner Entwicklung gemacht, die Ihr hier nachlesen könnt:

Elina wurde um 2.50 Uhr in der Charité in Berlin-Mitte geboren.
Sie wog 550 g (kaum mehr als ein Pfund Butter!) bei 32 cm "Kürze" und 22 cm Kopfumfang,
APGAR 5/7/7.

Noch im Kreißsaal wurde Elina reanimiert. Sie bekam Surfactant für die Lunge und wurde intubiert. Außerdem wurde ein Gefäßkatheter in die Nabelvene gelegt. Sie wurde sofort anitbiotisch behandelt.
Um den 2.-4. Zeh des linken Fußes hatte sich die Nabelschnur gewickelt, sie musste gelöst werden. Die Zehen waren bereits avital und ganz schwarz, sie fielen etwa eine Woche später ab. Schließlich wurde Elina zur neonatologischen ITS verlegt.

Zum Glück haben wir dies alles nicht hautnah miterleben müssen. Matthias wollte sich nach Aufforderung des Anästhesisten im Nebenraum nach dem Zustand der Zwillinge erkundigen, erntete aber nur sehr, sehr ernste und böse Blicke.

Auf der ITS bekam Elina dann ihre 1. Bluttransfusion, denn sie war hochgradig anämisch (HK 0,25). Zu diesem Zeitpunkt durfte mein Mann in Begleitung des Oberarztes zum ersten Mal zu unserer Tochter. Ihn beschlich ein ganz mulmiges, angstvolles Gefühl als er sie dort so liegen sah, so winzig und durchscheinend, fast zerbrechlich und rundherum diese vielen Geräte und Kabel.
In den frühen Morgenstunden dann wurde Elinas Lunge mehrfach geröntgt. Es waren weitere Surfactantgaben nötig bis sich eine positive Lungenentwicklung zeigte und sie einen deutlich niedrigeren O2-Bedarf hatte und mit niedrigeren Beatmungsdrücken auskam. In ihren ersten Stunden im Kampf ums Leben, nahmen wir Abschied von Anica, ihrer Zwillingsschwester.

Mein Mann war an diesem 1. Tag noch zwei weitere Male bei unserer Tochter. Sie bekam mittlerweile Glukose über die Nabelvene und die Ärzte starteten den 1. Versuch mit 0,3 ml Fremdmuttermilch über die Magensonde. Der Oberarzt war zufrieden, für die Voraussetzungen wäre ihr Start gut gewesen.

Meine Erinnerungen an diesen so grauenvollen Tag verschwammen zum Glück stark, denn ich hatte doch sehr mit den Nachwirkungen der Narkose zu kämpfen. Ich war sehr froh, nach diesen vielen Hiobsbotschaften, die ich komischerweise mehr als Zuschauer mitbekam, denn als wirklich Beteiligte, immer wieder in einen wirren Schlaf ausweichen zu können. Eigentlich kam ich erst gegen Abend wieder so richtig zu mir und all die bis dahin wattierten Botschaften nahmen entsetzlich klare Formen an. Ich wollte aufstehen, zu meiner Tochter, aber mühsam am Bettende angekommen versagten meine Kräfte, mein Kreislauf spielte nicht mehr mit. Ich musste mich also noch gedulden und ich hatte nichts von ihr, kein Foto, nichts, nur die Erinnerung an unsere kleine Anica. Elina musste aussehen wie sie. Alles, was ich fühlen konnte waren unendliche Trauer und ein furchtbar leerer Bauch. Ich konnte unserer Tochter nicht mehr helfen, sie musste sich ganz alleine diesem schweren Kampf ums Leben stellen. Ich vermisste sie ganz schrecklich. Für den nächsten Morgen hatte ich mir fest vorgenommen, sie zu besuchen und nichts und niemand würde mich von diesem Vorhaben abhalten können.

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1. Woche (11. - 17.08.2000)