Spiegeleier - ich war plötzlich verrückt danach. Von einem Tag auf den anderen verspeiste ich drei Wochen lang jeden Abend mindestens drei Spiegeleier. Matthias kam das gleich komisch vor und noch lange bevor es sich bestätigte, war ihm - ohne, dass er es je aussprach - alles klar. Ich war schwanger! Und obwohl ich zuvor nicht gerade Spiegeleier-Fan und die Schwangerschaft heiß ersehnt war, kam bei mir nicht der leiseste Verdacht auf, dass es so schnell klappen könnte. Schließlich hatte ich gerade erst vor zwei Monaten die Pille abgesetzt. Am 13. März, unserem zweiten Hochzeitstag, machte ich einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke, meine Menstruation war längst überfällig und es wäre sicher ein tolles Hochzeitstagsgeschenk gewesen, irgendwie tief in mir fühlte ich mich auch schwanger, aber es sprach so vieles dagegen, so dachte ich zumindest: meine Bauchschmerzen z. B., ich war überzeugt, meine Menstruation könne jeden Augenblick kommen. Der Test war negativ bis auf ein äußerst schwach ausgeprägtes, wohl eher eingebildetes Pünktchen, ich war enttäuscht, rief aber dennoch beim Arzt an, der mir riet, am nächsten Tag vorbeizukommen. Wir verbrachten dennoch einen wunderschönen Hochzeitstag mit einem großen Bummel durch Berlins Mitte (Hackesche Höfe, Quartier Latin etc.) nichtsahnend, dass unser Leben nun komplett umgekrempelt würde, es eines der letzten Male für die nächste Zeit sein würde, wo wir so ausgiebig und entspannt bummeln konnten, wo wir noch richtig unbeschwert glücklich waren und nichtsahnend, dass ganz in der Nähe wenige Monate später ein einschneidendes und uns prägendes Ereignis stattfinden sollte.

Am darauffolgenden Tag bestätigte mir der Arzt die Schwangerschaft.
Ich hatte eigentlich nicht wirklich damit gerechnet und war dementsprechend überrascht. Ich habe fünfmal nachgefragt und muss so ungläubig geschaut haben, dass mich der Arzt fragte, ob ich das Kind überhaupt wolle. Was für eine Frage, natürlich wollte ich das Kind! Leider war auf dem Ultraschall noch nichts zu sehen und ich wurde damit um eine Woche vertröstet. Es war ja auch noch sehr früh, da ich zufällig genau wusste, wann es passiert sein musste (23.02.2000!!!). Der Arzt packte mir aber den Schwangerschaftstest in Alufolie ein, Verwechslung ausgeschlossen!

Ich schwebte auf Wolke sieben, fuhr wie in Trance nach Hause und hätte die ganze Welt umarmen können. Ich war furchtbar aufgeregt. Auch mein Mann freute sich sehr, aber für ihn war es sowieso klar, dass ich schwanger war. Ich war fast ein bisschen traurig, dass die Überraschung nicht so gelungen war.
Dem nächsten Arzttermin fieberte ich entgegen, was, wenn nun doch nichts zu sehen war? Aber man sah etwas, eine winzig kleine Fruchthöhle, das nachfolgende Bild trug ich ab sofort stolz mit mir herum!

Die nächsten zwei Wochen ging es mir gut bis auf eine ausgeprägte Müdigkeit. Ab der 7. Woche wurde mir zunehmend übler. Mittlerweile stellten sich auch erste Bedenken ein, würde ich dies alles meistern können? Es ist eben doch ein Unterschied nur schwanger sein zu wollen oder es zu sein.
Inzwischen fiel es mir schwer, auf der Arbeit meinen Zustand geheim zu halten, da ich mich immer wieder übergeben und den ganzen Flur entlang bis zur Toilette rennen musste. Einige eingeweihte Kolleginnen witzelten schon, sooo übel sei es ihnen niemals ergangen, vielleicht würden es Zwillinge, denn diese gab es mehrfach in unserer Familie!
In der 8. Woche dann ein weiterer Ultraschalltermin: der Arzt war zufrieden, es entwickelte sich alles normal. Für einen winzigen Moment, sah ich zwei kleine Haufen auf dem Monitor, aber verwarf den Gedanken gleich wieder und wurde nicht mal stutzig als der Arzt kurz darauf innehielt, immer wieder etwas auf dem Bild suchte und plötzlich meinte: "Äähm, ich hätte da ein ganz anderes Problem." Ein Problem? Ich dachte, es wäre alles in Ordnung? Ich guckte etwas verwirrt. Er: "Was würden sie denn davon halten, wenn es zwei würden?" WAAASSS???
Irgendwie war ich zwar etwas geschockt, aber doch nicht allzu sehr überrascht, teils sogar in diesem Moment schon etwas stolz, gleich zwei Babys! Mein größtes Problem war eher, wie bringe ich das meinem Mann bei? Eigentlich wollte er generell nur ein Kind, ich hingegen am liebsten drei... Der Arzt hatte hierzu die Lösung: ein Ultraschallbild mit zwei kleinen Haufen, unseren Babys, Worte waren da wirklich nicht mehr nötig.

Sehnsüchtig erwartete ich die Heimkehr meines Mannes, ich zitterte regelrecht vor Aufregung und Anspannung, man war ich glücklich, aber Zwillinge und auch noch eineiige, das war der Hammer! Ich überlegte hin und her wie ich das wohl alles packen würde, mir war schon ziemlich mulmig und die Schwangerschaft, wo ich doch so zierlich bin, nachher dann mit so einem fetten Bauch, na ja und meistens kommen Zwillinge früher und wohl eher mit Kaiserschnitt... Alles war so anders plötzlich und gerade freundete ich mich im Bauch mit unserem Baby an, da waren es nun zwei. Merkwürdig zwei Babys in meinem Bauch!
Mein Mann war platt, er starrte verdutzt auf das Ultraschallbild, schaute auf: "Zwei???". Ich nickte. Dann sprang er in die Luft, als hätte er einen Sechser im Lotto! Damit war für ihn das Thema erledigt. Wir würden die Kinder schon schaukeln...
Ich hingegen konnte die ersten zwei Nächte kaum schlafen, so vieles ging mir plötzlich im Kopf herum, so vieles musste neu überdacht werden.

Bald darauf konnte ich dann keinen klaren Gedanken mehr fassen, es ging mir grottenschlecht. Morgens hing ich als erstes, noch kaum aufgewacht, über dem Eimer, der schon vorsorglich neben dem Bett stand und dieses Dilemma zog sich über den ganzen Tag hin. Ich bekam erst Vomex A Dragees, schließlich erhielt ich erst jeden zweiten, dann jeden Tag ambulant Infusionen. Als auch das nichts mehr half, sollte ich für einige Tage ins Krankenhaus. Daraus wurden dann drei Wochen! Drei lange Wochen, in denen ich fast ausschließlich am Tropf hing, um schließlich mit anderen Medikamenten nach Hause zu dürfen. Ich lag im 4-Bett-Zimmer mit ganz lieben Menschen, alle krebskrank. Es war sehr hart für mich, Chemotherapien mitanzusehen, Händchen zu halten, Mut zuzusprechen, aber wie schlimm muss es erst für die kranken Menschen gewesen sein?! Es war mir unangenehm, mir ging es ja vergleichsweise prächtig mit Kugelbauch, in mir entstand neues Leben und diese Menschen bangten um ihres, wussten nicht, was die Zukunft bringt. Ich denke sehr oft an alle und frage mich, wie es ihnen wohl ergangen ist und wie es ihnen heute geht.
Hinzu kam dann bei mir noch eine schwangerschaftsbedingte Schilddrüsenüberfunktion. Leute, es ging mir besch...! Mit den neuen Tabletten ging es so einigermaßen, ich übergab mich so im Schnitt noch sechsmal am Tag, an Zähneputzen war gar nicht zu denken. Die Übelkeit sollte erst so im Laufe des sechsten Monats abklingen.


Ende der 14. SSW wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen, sechs Wochen hielt ich zu Hause tapfer bis ich dann wieder ins Krankenhaus musste, diesmal in die Charité. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass wir so ganz nebenbei mitten im Hausbau steckten...


Bei der Feindiagnostik in der 20. SSW wurde zuviel Fruchtwasser festgestellt und dass es zwei Mädchen würden!!! Der Arzt bezweifelte, dass ich noch lange freien Fußes wäre... Nachdem mein Frauenarzt diese Ergebnisse erhielt und zudem meine Blutwerte nicht erfreulich waren (Anämie), bestellte er mich zu sich in die Praxis. Seit der 18. SSW hatte ich Wehen, die man mir aber nicht so recht abnehmen wollte, zumindest wären sie nicht schädlich, ließen sich jedenfalls beim CTG nie sehen, kurz darauf waren sie aber stets wieder da, ich schwöre es! Nun aber sah der Arzt den traurigen Beweis: durch zuviel Fruchtwasser (Polyhydramnion) und Wehen hatte sich mein Muttermund arg verkürzt: Restzervix 0,9 cm! Meine Gebärmutter hatte den Stand einer 36. SSW, leider aber war ich erst in der 21. SSW. Ich bekam Wehenhemmer in Tablettenform und ab mit mir in die Klinik.

 


In der Charité dachte man, ich käme zur Entbindung.
Es wurden haufenweise Untersuchungen gemacht. Beim Ultraschall, mein Mann war zum Glück dabei, kam nach ca. einer Stunde ordentlich Hektik auf. Andere Ärzte wurden gerufen, Professoren, es lag eine sehr beunruhigende Stimmung in der Luft, aber niemand wollte uns Genaueres sagen.
Dann die Holzhammermethode von einem der "Weißkittel": "Sie müssen damit rechnen, dass es das gewesen ist!" Er schlug vor, die Geburt einzuleiten.
Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Ein anderer Arzt, Spezialist auf dem Gebiet; erklärte uns dann genau die seltene Diagnose: FETO-FETALES TRANSFUSIONSSYNDROM und Handlungs- bzw. Behandlungsmethoden. Dieses Syndrom ist erst seit etwa 10 Jahren bekannt und jeder Fall verläuft anders! Mit viel viel Glück würden wir es höchstens noch bis zur 24. SSW schaffen, aber es war sehr unwahrscheinlich. Wir hatten tatsächlich den Sechser im Lotto, nur im umgekehrten Sinn und wirklich keinen Grund, glücklich darüber zu sein. Wir waren eine von ca. 35.000 Zwillingsschwangerschaften!

 

FETO-FETALES TRANSFUSIONSSYNDROM (FFTS)

Das Feto-Fetale Transfusionssyndrom ist ein Krankheitsbild der Plazenta. Es entsteht bei eineiigen Zwillingen während der Schwangerschaft, wenn Blut überproportional durch verbindende Blutgefäße in der gemeinsamen Plazenta von einem Zwilling zum anderen fließt.
Auf diese Weise bekommt ein Zwilling, der Rezipient, zuviel Blut (nämlich sein eigenes und das des Zwillings), was zu einer Belastung des Herz-Kreislauf-Systems führt und Tod durch Herzversagen zur Folge haben kann. Der andere Zwilling, Donor, bekommt wiederum nicht genug Blut (verliert Blutvolumen über die verbindenden Blutgefäße in Richtung Rezipient und erhält über eventuell andere Blutgefäße nur wenig Blut zurück) und kann an der Unterversorgung sterben.
Der Rezipient produziert überdurchschnittlich viel Harn und Fruchtwasser, welches erhebliche Beschwerden und Druck auf den Muttermund ausübt und somit zu einer Fehl- oder Frühgeburt führen kann. Der Donor hat fast keine Harnproduktion und daher fast kein Fruchtwasser in seiner Fruchtblase.
Bei diesem Syndrom sind die Zwillinge selbst vollkommen normal, die Probleme liegen in der Plazenta und führen dann häufig zu Fehlentwicklungen bei den Kindern.
Es betrifft nur eineiige Zwillinge mit gemeinsamer Plazenta.
Es wird vermutet, dass der Grundstein zum FFTS in dem Moment gelegt wird, in dem sich das befruchtete Ei teilt und die Plazentastruktur mit ihren Blutverzweigungen festgelegt wird. Bekannt ist, dass es umso größere Probleme gibt, je später sich das befruchtete Ei teilt.
Bleibt eine Behandlung aus, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder sterben bei 80-100 % insgesamt, bedingt durch Fehlgeburt oder intrauterinen Tod.

 

Es wurden uns also vier Vorschläge unterbreitet:

  1. Die Geburt jetzt oder etwas später einzuleiten:
    die Kinder würden dann während oder kurz nach der Spontangeburt sterben.

  2. Nichts zu machen:
    in den nächsten Tagen würde es dann mit Sicherheit zu einer Fehlgeburt kommen.


  3. Wiederholte Amniozentese (Fruchtwasserentlastung):
    hier ändert sich an der Belastung der Zwillinge durch das Syndrom nichts, man kann aber die Gefahr einer Frühgeburt reduzieren. Nachteile sind hier die Gefahr der Fehlgeburt bzw. verstärkte Wehentätigkeit.
    Die Wahrscheinlichkeit bei dieser Therapie, dass beide Zwillinge überleben ist 42 %, dass mindestens einer überlebt 60% und dass keiner überlebt 40 %. Außerdem besteht gegenüber einer normal verlaufenden Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko (20 %), dass überlebende Kinder neurologische Schäden mit Behinderungen unterschiedlichen Ausmaßes entwickeln.


  4. Laser Therapie:
    diese Behandlung versucht die Ursache des FFTS zu beseitigen, indem mittels Laser die verbindenden Blutgefäße in der Plazenta unterbrochen werden und somit der Blutfluss vom Donor zum Rezipienten gestoppt wird. Wenn während des Eingriffes alle Blutgefäße unterbrochen werden, haben die Zwillinge die Chance, sich von da ab unter ausgeglichenen Bedingungen zu entwickeln.
    Nachteil: diese Operation wird nur in wenigen Kliniken in Europa durchgeführt und es müssen bestimmte medizinische Voraussetzungen vorliegen: Schwangerschaft darf die 25. Woche nicht überschritten haben und ideal ist eine Hinterwandplazenta.
    Vorderwandplazenta und vorhergegangene Fruchtwasserentlastungen komplizieren den Eingriff technisch.
    Die Wahrscheinlichkeit bei dieser Therapie, dass beide Zwillinge überleben ist 56 %, dass mindestens einer überlebt 82 % und dass keiner überlebt 18 %. Das Risiko von neurologischen Schäden mit Behinderungen unterschiedlichen Ausmaßes ist hier geringer
    (12 %).


Uns war sofort klar, dass die beiden ersten Vorschläge definitiv nicht in Frage kamen, wir konnten und wollten einfach nicht über das Leben unserer Kinder entscheiden! Wir entschlossen uns also sofort für Vorschlag 4: die Lasertherapie. Die einzige dafür in Frage kommende Klinik in Deutschland war die Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Es wurde sofort mit dieser Klinik telefonisch Kontakt aufgenommen, aber wir konnten leider nicht sofort fahren, da ich ziemlich heftige Wehen hatte. Es wurde vereinbart, mich möglichst kurzfristig einigermaßen wehenfrei zu bekommen und am nächsten Tag sollte es dann - wenn irgendwie möglich - nach Hamburg gehen.

Wir waren beide völlig fertig mit den Nerven! Eben noch freuten wir uns so sehr auf unsere Zwillinge und jetzt mussten wir damit rechnen, beide oder eines zu verlieren. Der absolute Höllentrip begann, nichts war mehr wie vorher, mich verließ innerhalb einer Sekunde alle Kraft, das Leben schien mir so sinnlos und doch durfte ich nicht aufgeben und musste kämpfen für unsere Kinder...

Ich kam auf die Wöchnerinnenstation, verbrachte eine furchtbar lange Nacht voller Tränen und hörte um mich herum fröhliches Neugeborenengequake. Es klang so schön, aber es tat so extrem weh. Würden wir jemals unsere beiden kleinen Mädchen so hübsch quieken hören, so verlangend brüllen, so zornig schreien?

Noch heute über ein Jahr später spüre ich dieses hartnäckige Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit und der nicht enden wollenden Trauer...
und meine Babys strampelten damals heftig, als wollten sie mich trösten.

Am nächsten Tag wurde dann mein Mann hinunter zur Ärztin gebeten, alles war für meine Abreise nach Hamburg vorbereitet. Auf in den Kampf, es schien uns die einzige Lösung. Mit einem Mal kam eine Schwester, meinte wir zögen jetzt um und ließ ganz nebenbei verlauten, dass nun doch alles anders käme als gedacht, worauf ich leise hauchte: "Wie meinen Sie das jetzt?" Sie hielt kurz inne und erwiderte nur, dass mein Mann mir sicher gleich alles erzählen würde. Die Minuten der Warterei wurden zur Stunde, mir liefen Schauern den Rücken herunter, meine Babys strampelten - wie eigentlich immer - munter dazu. Als mein Mann kam, konnte ich bereits an seinem Gesicht lesen, dass irgendetwas nicht stimmte. Wir durften nicht nach Hamburg! Auf unsere Fragen nach dem Warum wurde nicht richtig eingegangen; wir hatten den Eindruck als flüchteten die Ärzte sich in irgendwelche Ausreden. Angeblich gäbe es keine Transportmöglichkeit, da ich ja immer noch - wenngleich auch nicht mehr so heftig - unter Wehen stand, welcher Arzt würde das verantworten? Sie hätten mit Hamburg vereinbart, erst mal eine Fruchtwasserpunktion durchzuführen, dann abzuwarten wie es sich so entwickelte und in einer Woche würde die ganze Sache Hamburg noch einmal neu überdacht und neu entschieden werden.
Wir fühlten uns so ausgeliefert. Da war ein Arzt, der uns hätte helfen können und er wollte oder konnte nicht??? Jedenfalls kam es uns so vor.
Wir waren verzweifelt!

Als nächstes stand also die Fruchtwasserpunktion an: unter örtlicher Betäubung wurden mir während rund einer guten Stunde ganze 2,2 l Fruchtwasser entnommen, 5 Flaschen. Es war trotz allem unangenehm. Mein Mann saß neben mir und weinte bittere Tränen, er konnte es kaum ertragen, wie man mit so einer dicken Nadel in meinem Bauch herumstocherte. Ich starrte auf den Riesenmonitor vor mir auf unsere Kinder, die dort schon so groß erschienen. Wie gebannt verfolgte ich ihre Handlungen. Sie kuschelten gerade miteinander (die eine legte den Kopf auf den Bauch der anderen) als die Nadel eindrang. Sie verhielten sich kurz abwartend und ich redete innerlich ganz beruhigend auf sie ein. Schon vorher habe ich sie durch den Bauch hindurch gestreichelt und ihnen erklärt, sie bräuchten keine Angst haben, diese Punktion sei absolut notwendig, damit es ihnen etwas besser geht. Wie als hätten sie mir vertraut, bewegten sie sich plötzlich mutig auf die Kanüle zu. Sie betasteten und erkundeten sie genau. Selbst die Ärzte hielten einen Moment inne, um über unsere Zwillis zu staunen. Es sah fast so aus, als freuten sie sich über etwas Abwechslung! Es wurde noch eine Probe fürs Labor entnommen, um eventuelle genetische Defekte auszuschließen.

Die nächsten zwei Tage und Nächte galten meiner Angst, die Wehen würden sich verstärken, was sie auch taten trotz Unmengen von Wehenhemmern und ich würde eine Fehlgeburt erleiden, die zum Glück nicht eintrat! Die Ärzte waren erstaunt, denn sie rechneten fest damit, dass sich nun alles "von selbst" erledigen würde, wie wir später erfahren durften. Umso erstaunter waren sie, als sie mittels Ultraschall in meinen Bauch schauten. Die Lage hatte sich deutlich entspannt und stabilisiert,
die Ursache allerdings war natürlich nicht behoben. Sollte es dennoch
eine Chance für unsere Zwillinge geben?
Das kleinere Mädchen hatte auch wieder etwas mehr Fruchtwasser und auch etwas Flüssigkeit in der Blase. Sie war vorher durch die Unmengen Fruchtwasser vom ersten Zwilling total eingequetscht gewesen. Jetzt gab es für beide etwa gleiche Bewegungsfreiheit. Was sie auch unheimlich genossen! Immer wieder schlugen sie regelrechte Berge, die die Schwestern und Ärzte bei CTG's oder Ultraschallaufnahmen immer wieder in Entzücken fallen ließ.

Mit Hamburg kam es noch zu einigem Hin und Her. Wir hatten auch einen befreundeten Arzt, der mich nach Hamburg begleitete hätte, aber es sollte nicht sein! Nach der Fruchtwasserentlassung war die Ausgangslage für die Zwillinge zwar nach wie vor sehr schlecht, aber nicht mehr total aussichtslos. In Hamburg aber wurden angeblich nur absolute Notfälle operiert. Wir konnten dies lange nicht verstehen, aber irgendwann mussten wir uns ja leider damit abfinden und trösteten uns mit der Tatsache, dass ich ja eine Vorderwandplazenta hatte, bei der sich der Eingriff als äußerst schwierig gestaltet hätte.

Fortan lag ich also auf der Risikoschwangerenstation mit ganz lieben Schwestern. Es standen regelmäßige Kontrollen auf dem Programm und haufenweise CTG's. Pro CTG hatte ich immer mindestens eine starke Wehe, waren es mehr bekam ich wehenhemmende Spritzen. Wir strichen in einem kleinen Büchlein jeden so wertvollen Tag ab. Die Ultraschallkontrollen alle 2-3 Tage brachten mich immer wieder sehr aus der Fassung und ich arbeitete bis zum nächsten Termin darauf hin, mich wieder einigermaßen zu sammeln und seelisch meinen beiden Babys nicht allzu extreme Achterbahnfahrten zuzumuten.
Inzwischen waren auch die Fruchtwasserergebnisse da und sie waren durchweg positiv. Es war nun absolut sicher, dass wir zwei Mädchen bekommen würden und wir überlegten uns, welche Namen wir ihnen geben sollten (Anica für die größere und Elina für die kleinere).
Mein Mann saß den ganzen Tag bis spät abends an meinem Bett. Ich hatte strenge Bettruhe und durfte nur ab und an auf die Toilette und morgens zum Duschen. Meinem Mann habe ich es zu verdanken, dass ich nicht völlig verrückt wurde vor seelischem Schmerz. Ihm ging es nicht viel besser, aber irgendwie hat er mich oder wir uns gegenseitig immer wieder aufgebaut. Wir versuchten, in dieser fast ausweglosen Situation nicht den Humor zu verlieren und kämpften uns tapfer Tag für Tag voran.
Aber es sollte noch schlimmer kommen...
Etwa eine Woche nach der Fruchtwasserentlastung ging es Anicas Herz zunehmend schlechter. Sie war der Rezipient und auf Grund der viel zu hohen Blutzufuhr entwickelte sie eine lebensgefährliche Herzklappeninsuffizienz. Die Werte waren extrem schlecht und wir mussten jeden Moment damit rechnen, dass sie stirbt und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ihre Schwester mit in den Tod reißt, da eineiige Zwillinge stark miteinander verbunden sind, besonders durch die eine Plazenta, die sie sich teilten. Sollte der andere Zwilling überleben, kann es bei ihr aber durch den starken Blutdruckabfall durch den Tod ihrer Schwester zu bleibenden Schäden in unterschiedlich starkem Ausmaß kommen. Zu der sowieso schon unerträglichen Angst einer Fehl- oder Frühgeburt kam nun noch diese Sorge. Leider konnte man gegen ihre Herzschwäche nichts tun, da z. B. eine herzstärkende Medikamentengabe auch den anderen Zwilling mit beeinflusste und dieser konnte eine Stärkung des Herzens nun ganz und gar nicht vertragen, denn das hätte zur Folge, dass der eh schon geschwächte Rezipient noch mehr Blut erhalten würde, was dann wohl ganz fatale Auswirkungen hätte.
Wann immer sich die Zwillinge kurze Zeit nicht bewegten, brach in mir regelmäßig Panik aus. Zum Glück waren sie extrem agil und verschonten mich meistens mit derartigen Gefühlsausbrüchen.

Hiermit danke ich meinen Eltern und engsten Freunden, die mich bzw. uns in der für uns außerordentlich harten Zeit beigestanden haben.
Auch wenn uns das Reden manchmal sehr schwer viel, immer und immer wieder die neuesten Untersuchungsergebnisse verlauten zu lassen, so war es aber auch einfach ein schönes Gefühl zu wissen, da sind noch Andere, die an einen denken, einen verstehen und Mut zusprechen, denn es wäre ganz einfach gewesen zu verzweifeln!

Inzwischen erreichten wir die 24. SSW! Das magische Ziel, die Grenze zur Überlebensfähigkeit laut der Ärzte. Wir waren ein winziges bisschen erleichtert und es war ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Ärzte gaben uns wieder einen ordentlichen Dämpfer. Sie würden jetzt noch nichts für die Zwillinge tun, sollten diese geboren werden. Bei Zwillingen wären 26 SSW besser, da sie meist etwas verzögert sind in der Entwicklung. Auch unsere Zwillinge waren verzögert um ca. 2-3 Wochen, das schwankte etwas. Dennoch sollte ich drei Cortisonspritzen (Fortecortin) zur Lungenreifung unserer Kinder bekommen. Ein winziger Hoffnungsschimmer. Das Negative war zudem, dass es Anicas Herz weiterhin extrem schlecht ging, immerhin stabil schlecht, was nach so langer Zeit einem Wunder gleichkam. Das Positive und Erstaunliche war aber auch, dass bisher noch keine weitere Fruchtwasserentlastung nötig war. Normalerweise geschieht dies wöchentlich. Unsere Situation verdeutlicht, dass von den wenigen FFTS-Fällen, die es gibt, eben kein Fall gleich ist, was die Behandlungsmöglichkeiten natürlich nicht gerade vereinfacht. Wir hangelten uns also weiter, strichen die Tage ab...

Als wir die 26+0 SSW erreicht hatten, entschieden die Ärzte nun endlich im Fall der Fälle alles erdenklich Mögliche für die Kinder zu tun, obwohl wir schon seit einiger Zeit bemerken mussten, dass sie sich in jeglichen Untersuchungen hauptsächlich auf den Donor konzentrierten. Als hätten sie unsere kleine Anica schon abgeschrieben...es tat furchtbar weh.
Ich wurde vom 11. Stock vorsichtshalber in den Kreißsaal verlegt, damit ich gleich vor Ort wäre, um im Notfall nicht unnötig Zeit zu verlieren. Die Ultraschallkontrollen wurden verschärft auf 2 x täglich, morgens und abends, in der Hoffnung sie würden rechtzeitig bemerken, wenn eines der Babys stirbt, um beide oder wenigstens eines zu retten.
Es war ein Freitag und es stand mir ein schrecklich langes Wochenende bevor. Die erste Nacht konnte ich kaum schlafen, wurde immer wieder geweckt von kurz vor der Geburt stehenden Hochschwangeren, die kurzfristig in mein Zimmer geschoben wurden und alle paar Stunden wechselten. Die meisten hatten schon heftigste Wehen. Tagsüber hörte ich immer wieder die Schreie der Gebärenden. Es war der absolute Horror für mich! Schon beim Anblick der dicken Bäuche, obwohl meiner ja auch ganz ansehnlich war, aber leider noch weit vor dem errechneten Termin, drehte sich bei mir der Magen um. Und die Schreie brachten mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Ich dachte immerzu: "Mensch habt euch nicht so albern, ich an Eurer Stelle wäre froh, überhaupt so gebären zu können, zum Termin und spontan." Ich weiß, diese Gedanken sind in keinster Weise gerechtfertigt, aber ich konnte in diesen Momenten keinen klaren Gedanken fassen. Es ging zusehends bergab mit mir. Matthias Worte, die sonst so schnell den Weg in mein Herz fanden, vermochten mich nicht mehr aufzubauen. Ich aß fast gar nichts mehr, weinte ununterbrochen, die Angst und Sorge zerfraß regelrecht meinen Körper. Ich wollte endlich aufwachen, fühlen, dass alles nur ein Albtraum war, ich wollte raus, raus aus dieser so verhassten Situation. Ich wollte einfach nur wieder ein ganz normales Leben, aber was war schon "normal"? Ich fühlte mich total überfordert mit der Verantwortung für meine Kinder, denen es schlecht ging in meinem Bauch und die ich dennoch irgendwie halten sollte, wollte, musste.
Die Ärzte waren besorgt, fragten, ob sie mir was Gutes tun könnten, versorgten mich aber gleichzeitig mit neuen erschreckenden Statistiken und schürten immer wieder meine Ängste: "Hat man Ihnen denn nicht von Anfang an gesagt, dass die Kinder schwerstbehindert sein könnten?"
Meine Bettnachbarin aus dem 11. Stock, die in der 36.SSW ein gesundes zartes Mädchen mit 2300 g zur Welt brachte, welches sie wenige Tage später mit nach Hause nahm, führte mir ganz stolz ihre kleine Maus vor, betonte dabei immer wieder, dass es ja ein Frühchen sei. Ich musste irgendwie Haltung bewahren, sicher freute es mich für sie, aber im Moment brauchte ich all meine letzten Reserven ganz allein für mich und meine Zwillis. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, wäre am liebsten abgetaucht. Irgendwann wurde mir eines klar: ich musste so bald wie möglich wieder nach oben auf die Station - weit weg vom Kreißsaal, um auch wieder auf andere Gedanken zu kommen, um Abstand zu Geburten zu gewinnen. Ich flehte die Ärzte an, ich bettelte, Matthias umgarnte oben die Schwestern, dass ich wieder auf mein altes Zweibettzimmer konnte. Die Ärzte waren verständnislos, teils beleidigt, willigten aber schließlich ein, nicht ohne einen stichelnden Kommentar: "Die Höhenluft bekommt Ihnen also besser?" Montag vormittag durfte ich also wieder in den 11. Stock auf Station 12 a. In der Tat, in der "Höhenluft" kam ich langsam wieder zu mir, fasste neuen Mut und endlich hatte mich auch mein Humor wieder eingeholt. So richtig wie vor dem Kreißsaal-Wochenende wurde es aber leider nicht mehr. Es war mehr der äußere Schein...
Die Fruchtwassermenge aber nahm wieder langsam zu, ein Eingreifen war aber wohl noch nicht nötig. Bis Donnerstag ging es gut, abends war ich noch beim Ultraschall um kurz nach 19 Uhr bei einer jungen Ärztin. Ich bat um ein Ultraschallbild, vielleicht das letzte...leider schien es nicht zu funktionieren...kein Papier? und plötzlich klappte es doch, allerdings war nur noch Elina zu kriegen, Anica saß schon zu weit unten, das war auch deutlich zu spüren. Ein komisches Gefühl beschlich mich, angeblich wäre aber alles unverändert...


Ich konnte keinen Schlaf finden, seit langem schon konnte ich nur noch auf der rechten Seite liegen, links hatte ich immer das Gefühl, die kleine Elina zu quetschen. Ich sang den beiden wie jeden Abend ein Gute-Nacht-Lied und hielt noch ein wenig Zwiesprache mit ihnen...
dann schlief ich ein.
Es sollte eine kurze Nacht werden.